Interview zu Ölfarbe - Teil I

Wie wird Ölfarbe genau definiert und was macht sie so besonders? Welche Fortschritte wurden in den vergangenen Jahrzehnten bei Ölfarben erreicht und welche Fehler werden bei der Verarbeitung häufig gemacht?

Lesen Sie die Antworten und noch viel mehr im ersten Teil unseres grossen Interviews mit H. Niggli, Geschäftsführer und Gründungsmitglied der THYMOS AG.

Interview mit Hanspeter Niggli, Geschäftsführer und Gründungsmitglied der Thymos AG

Wie würden Sie eine Ölfarbe definieren?
Farben und Lacke werden anhand des Bindemittels bezeichnet. Ölfarben sind also Produkte, deren Bindemittel ein pflanzliches, oxydativ trocknendes Öl ist. In den meisten Fällen ist das ein Leinöl oder ein gekochtes Leinöl, aber auch Safloröl, Holzöl, Ricinenöl oder es kommen andere trocknende Öle zum Einsatz.

Aus was besteht die Ölfarbe?
Das Bindemittel ist wie oben beschrieben ein pflanzliches, oxydativ trocknendes Öl. Hinzu kommen mineralische Füllstoffe wie Kreiden oder Steinmehle, ein heute blei- und kobaltfreier Trockenstoff (Sikkativ) sowie je nach Farbton und Produkt mineralische oder organische Pigmente. Bei traditionellen Rezepturen werden Balsamterpentinöl als Lösemittel und ggf. Additive wie zum Beispiel ein Antioxidant zur Verhinderung von Hautbildung im Topf ergänzt.

Werden natürliche Pigmente eingesetzt?
Das kommt auf den Hersteller und die Anforderungen der Bauherrschaft bezüglich des Farbtones an. Wir verarbeiten in der Linie «Beeck’sche Standölfarben» nur mineralische Pigmente. Dadurch wird der Farbradius stark eingeschränkt. Deshalb bieten wir in anderen Ölfarben auch organisch basierte Pigmente an, um ein grösseres Spektrum zu erreichen.

Welche Farbtöne sind möglich?
Grundsätzlich steht das gleiche Farbspektrum zur Verfügung, wie wir das von Kunstharzfarben kennen. Natürlich sind die Lichtechtheiten bei vielen kritischen Farbtönen wie z.B. Violett- oder Feuerrot genau so kritisch wie mit anderen Farbsystemen. Wer sich mit dem Spektrum der mineralischen Pigmente zufrieden gibt, kann auf sehr gute Lichtechtheiten zählen.

Können Sie sich eine reine Leinölfarbe auf dem Markt vorstellen?
Da gilt es vorweg die Definition der «reinen Ölfarbe» zu klären. Wenn wir uns auf eine Farbe einigen die nur mit pflanzlichem Leinöl gebunden ist, dann führen wir bei THYMOS AG gleich zwei Produktelinien, welche dies erfüllen.

Wenn wir uns am historischen Kontext orientieren, müsste das Produkt handgefertigt und gemäss der Epoche pigmentiert sein. Solche Produkte werden von Restauratoren und spezialisierten Malerbetrieben zwar selten, aber bei speziellen Objekten doch noch gepflegt.

Wie lange dauert der Anstrichaufbau und  wie sind die Trocknungszeiten ?
Qualitativ hochwertige Ölfarben können bei normalen Bedingungen nach 12 – 24 Stunden Trocknungszeit überstrichen werden. Die Schleifbarkeit wird bei Grund- und Vorlacken nach 24 – 48 Stunden erreicht. Die Durchtrocknung des ganzen Anstrichaufbaus nimmt mehrere Tage in Anspruch. Auf der Baustelle kann also ein kompletter dreifacher Anstrichaufbau in ca. 4 – 5 Tagen erfolgen.  In den ersten Wochen sollte er aber keinen starken mechanischen Belastungen ausgesetzt werden.

Kann Ölfarbe überstrichen oder ausgebessert werden?
Ölfarben können bestens und mehrfach überarbeitet werden. Zudem kann eine bestehende Schicht mit etwas Salmiakwasser reduziert und zum Überarbeiten vorbereitet werden. Ausbesserungen sind technisch kein Problem, aber teilweise aufgrund der materialtypischen leichten Gilbung etwas problematisch. Zumindest dann, wenn der Ölfarbanstrich schon etwas älter und im hellen Farbtonbereich ist.

Was sind die häufigsten Fehler in Bezug auf die Verarbeitung der Ölfarbe?
Wer gewöhnlich mit Acrylharzfarben arbeitet, tendiert (insbesondere bei spritztechnischer Verarbeitung) mit der Ölfarbe zu einem zu hohen Schichtauftrag. Das kann zu Runzelbildungen und Trocknungsverzögerungen führen. Zu frühes Schleifen oder Überarbeiten kann ebenfalls zu Störungen führen. Ansonsten sind die Handwerker meist positiv von der einfachen Verarbeitbarkeit überrascht.

Warum scheuen sich viele Verarbeiter vor der Verwendung von Ölfarbe?
Vielleicht weil sich längst überholte Vorurteile gegenüber der Ölfarbe hartnäckig halten: trocknet ewig nicht, hat einen schlechten Verlauf, ist schwierig zu Verarbeiten… All diese Attribute sind bei heutigen Ölfarben nicht mehr zutreffend. Zudem wissen viele nicht, dass die Ölfarbe heute auch in wasserverdünnbarer Emulsion lieferbar ist.

Was macht die Ölfarbe besonders, was sind ihre Vorteile?
Ölfarben zeichnen sich durch eine hohe Wetterbeständigkeit, ein vorteilhaftes Alterungsverhalten, konsequenten Schichtabbau sowie die Möglichkeit zur Anstrichpflege durch Nachölen aus. Zudem sind sie in der heutigen Zusammensetzung umweltfreundlich und aufgrund der verwendeten nachwachsenden Rohstoffe durchausnachhaltig. Auch die haptischen und optischen Eigenschaften werden sehr geschätzt.

Welche Fortschritte wurden bei Ölfarben in den letzten Jahrzehnten erreicht?
Die Ölfarbe war ursprünglich ein handwerkliches Produkt. Jeder Malermeister hatte seine Familienrezeptur. Heute stellen wir Ölfarben industriell her. Da können Rezepturen über Jahre gepflegt, optimiert und verbessert werden. Beispielsweise wurden die Trocknungszeiten massiv verkürzt und der Verlauf so eingestellt, dass nicht mehr «verschlichtet» werden muss. Zudem verzichten wir heute auf toxische Schwermetalle wie Blei und Zink. Dieser Verzicht ist zwar in ökologischer, nicht jedoch in technischer Hinsicht ein grosser Fortschritt, in Zudem sind wir heute in der Lage, Ölfarben als wässrige Emulsionen herzustellen und damit gänzlich ohne Lösemittel auszukommen.

Warum wird die Ölfarbe heute wieder vermehrt in öffentlichen Bauten gewünscht?
In vielen Fällen werden Ölfarben aus denkmalpflegerischen Gründen eingesetzt. In historischen Gebäuden sollen wieder die originalen Oberflächen hergestellt werden. Andererseits kommen gerade die neuen emulgierten Ölfarben auch aus bauökologischen Gründen zum Einsatz.

Im zweiten Teil des Interviews geht es um die unterschiedliche Behandlung mit Ölfarben bei natürlichen, geölten Holzoberflächen. Den Beitrag finden Sie hier >>.


Unser Interviewpartner:

Hanspeter Niggli ist Geschäftsführer und Gründungsmitglied der THYMOS AG, die seit 1987 Grosshandel mit natürlichen Farben, Lacken und Ölen betreibt. Seit einigen Jahren gehören die 1894 gegründeten BEECK’schen Farbwerke in Laichingen (D) zur THYMOS AG.

H. Niggli ist Gastreferent an verschiedenen Fachschulen zum Thema natürliche Farben in der Architektur. Hinzu kommen Beratungsmandate in anderen Unternehmen der ökologischen Baustoffbranche. Seine grosse Leidenschaft gilt dem Erhalt und der Restaurierung von historischer Bausubstanz.

www.thymos.ch